Schon vor einigen Wochen hatte ich angekündigt, zum Thema „Alternative Behandlungsmöglichkeiten bei ADHS“ einen Blog zu schreiben. Vor allem deshalb, weil die Möglichkeiten, die diese „sanften Wege“ bieten bzw. zu bieten scheinen, oft als genau das gesehen werden, was der Name schon sagt: Als Alternative zu klassischen Behandlungsmethoden bei ADHS und vor allem als Alternative zu Medikamenten.
Aber hier liegt schon – man verzeihe mir diese klaren Worte – der erste Denkfehler. Denn wenn diese Methoden und Produkte zum Einsatz kommen, sollten sie keine Alternative, sondern – wenn überhaupt – eine Ergänzung sein. Darauf komme ich später in diesem Blog noch zurück.
Zuerst möchte ich euch jedoch noch
Meine Einstellung zu alternativer Medizin im Allgemeinen
mitgeben, damit ihr seht, dass ich bei diesem Thema, wie auch bei dem Thema Medikamente, eine völlig neutrale Haltung habe.
Wir sind eine Familie, die bei den meisten gesundheitlichen Problemen auf Alternativmedizin setzt. Wir verwenden homöopathische Globuli, Schüßlersalze, Bachblüten, gehen zur Craniosakraltherapie, zum Energetiker, zum Kinesiologen. Und sehr viele Beschwerden bzw. Erkrankungen behandeln wir auch mit Traditioneller Chinesischer Medizin.
Diese Methoden und Mittel haben ein riesiges Potenzial und vor allem lassen sich damit meist nachhaltige Erfolge erzielen, während in der Schulmedizin ja leider oft nur die Symptome bekämpft werden – nicht zuletzt auch deshalb, weil der Mensch nahezu ausschließlich als „Körper“ betrachtet wird, Seele und Geist aber in der Regel nur wenig Beachtung finden. Deshalb: Wer alternativmedizinischen Mitteln und Methoden ihre Berechtigung absprechen möchte, hat sich – und auch hier habe ich klare Worte – damit noch nicht ausreichend auseinandergesetzt.
Aufgrund all dieser positiven Erfahrungen und dem Wissen um die mächtige Wirkweise dieser Heilverfahren gingen wir dann auch mit unserem jüngeren Sohn, der als Baby ADHS-typisch ein Schreibaby war, zum Homöopathen. Doch wo uns die Homöopathie schon so oft viel besser als die Schulmedizin geholfen hatte, kamen die Globuli gegen das Schreien unseres Juniors nicht an. Auch gegen all die frühkindlichen anderer Symptome (die wir in den ersten Jahren natürlich nicht als ADHS-Symptome erkannten) hatten die Zuckerkügelchen, Caraniosacraltherapie und vieles andere aus dem alternativmedizinischen Repertoire keine Chance.
Unser Sohnemann blieb der kleine Wirbelwind, der er nun mal war, stolperte in seiner Schusseligkeit über seine eigenen Beine oder die Legoburg des älteren Bruders, verletzte sich in seiner Ungestümheit in einer Tour, hatte eine extrem niedrige Frustrationstoleranz, bekam die meiste Zeit weder unsere Rufe mit seinem Namen noch die Familienregeln mit und trieb seinen Bruder und uns als Eltern oft an den Rand der Verzweiflung.
Aber auch er selbst litt offenbar an seinen vielen Missgeschicken, an seinem Anderssein. Ein Diagnosemarathon begann, der mit den berühmten vier Buchstaben endete.
So weit also unsere persönlichen Erfahrungen mit alternativen Mitteln bei der Behandlung von ADHS. Das vorausgeschickt, lasst uns einen Blick werfen auf
Die in der ADHS-Szene am häufigsten diskutierten alternativen Möglichkeiten
Da haben wir zunächst mal all jene Mittel, die der Laie als „Naturheilmittel“ bezeichnet:
Außerdem sind noch die Traditionelle Chinesische Medizin, Akupunktur und Akupressur, sowie Kinesiologie bei ADHS immer wieder im Gespräch. Und schließlich versuchen auch viele Betroffene bzw. Eltern von betroffenen Kindern über diverse Nahrungsergänzungsmittel Verbesserung der Symptomatik zu erreichen.
Die schlechte Nachricht schon mal vorweg: In der Wissenschaft herrscht zu all diesen Alternativen nicht wirklich Einigkeit. Denn im Großteil der wenigen Studien, die zu den einzelnen Verfahren oder Produkten durchgeführt wurden, haben sich kaum oder keine signifikanten Verbesserungen der Symptomatik gezeigt. Allerdings muss man auch sagen, dass die Vertreter alternativer Heilmethoden bzw. die Produzenten alternativer Produkte bei weitem nicht die Finanzkraft wie milliardenschwere Pharmakonzerne haben, um mehrere umfangreiche, valide Studien durchführen zu können, die möglicherweise eindeutigere Ergebnisse bringen würden.
Ich lehne mich jetzt aber mal bewusst aus dem Fenster und gebe Folgendes zu bedenken – Studien hin oder her: All diese Dinge können helfen, Symptomen wie Konzentrationsmangel, innerer Unruhe oder Schlafstörungen die Spitzen zu nehmen. Aber wie sollen denn ein paar Globuli, Tropfen oder Vitamine in den falsch laufenden Gehirnstoffwechsel eines Menschen eingreifen? Wie sollen sie einen zerstörten Selbstwert wieder aufbauen? Wie sollen sie Kinder dabei unterstützen, ihr Handeln besser zu planen, sich an Vorgaben und Regeln zu halten, nicht wegen jeder Kleinigkeit zu explodieren, nicht mehr zu träumen, mehr Konzentration aufzubringen, störende Geräusche einfach auszublenden, usw. usf.?
Es berichten mir zwar immer wieder Eltern im persönlichen Austausch oder auf sozialen Plattformen, dass diese Dinge bei ihrem Kind helfen würden. Aber die wahrgenommenen Fortschritte könnten auch darauf zurückzuführen sein, dass sich Besserungen bei jeder Krankheit oder jedem Problem ja oft schon allein dadurch einstellen, dass die Eltern ihr Kind intensiver beobachten, es fragen, wie es ihm geht, wie sein Tag war etc. – sich also insgesamt mehr mit ihrem Kind beschäftigen. Das tut dem Kind gut und führt vermutlich zur Entspannung des Familienklimas, wodurch subjektiv Verbesserungen wahrgenommen werden.
Außerdem gibt es natürlich auch immer wieder so etwas wie einen Placebo-Effekt. Daher nun
Zum Thema „möglicher Placebo-Effekt" ein Beispiel aus unserem Leben
Unser Junior trat vor seinem ersten Berufsschulblock (zehn Wochen lernen auf höchstem Niveau – und das für einen Jugendlichen mit ADHS, der ein Jahr zuvor auf unser Anraten aus dem Gymnasium ausgetreten war) mit dem Anliegen an mich heran, er wolle einen „ADHS“-Vitaminkomplex und Omega-3-Fettsäuren aus der Apotheke, damit er diesen Lernmarathon schaffen würde. Ich erfüllte ihm den Wunsch mit dem Hinweis, er solle sich keine Wunder erwarten.
Der Berufsschulblock begann, unser Kind fuchste sich richtig rein, lernte, was das Zeug hielt, ging am Wochenende kaum auf Partys. Eine Klassenarbeit nach der anderen wurde absolviert, fast täglich Referate, Tests, Prüfungen.
Und dann war es endlich da, das Zeugnis.
„Nun sag schon“, hör ich euch jetzt sagen, „haben die Mittel geholfen?“
Tja, wo soll ich bei der Beantwortung der Frage beginnen …
Also mal zum Zeugnis: Alles Einsen außer in Religion, wo er mit der Lehrkraft nicht warm werden konnte, ständig mit dem Nachbarn quasselte, immer wieder mal eine Blödsinnigkeit rausrief und insgesamt eher in sein Verhalten im Gymnasium verfiel.
Na bitte, werden jetzt viele denken, da haben wir ja die Antwort: Die Vitamine und die Omega-3-Fettsäuren haben geholfen! Nun, ich hab da so meine Zweifel, denn nur zwei Parameter in der ganzen Geschichte miteinander zu vergleichen, wäre zu kurz gegriffen.
Man muss meiner Meinung nach nämlich auch noch folgende Faktoren mitberücksichtigen:
Zumindest so lange, bis er mich im Jahr darauf, beim nächsten Berufsschulblock mit zehn Wochen, bat, die Vitamine wieder zu besorgen. Nachdem aber
sagte ich ihm genau das und meinte, er müsse die Hälfte dazu beisteuern, wenn er sie immer noch wolle.
Ihr ahnt es schon: So sehr glaubte er an die Wirkung der Mittel dann auch nicht, als dass er selbst etwas davon bezahlt hätte.
Und das Zeugnis vom zweiten Berufsschuljahr? Wie sah das dann aus? Genau so wie das erste, nur in Religion diesmal auch eine Eins – alles ohne Vitaminpillen.
Natürlich ist unser Sohn nur ein Beispiel von Millionen. Natürlich ist jedes Kind anders. Und natürlich kann bei Kindern, bei denen ein tatsächlich gravierender Mangel an Vitaminen oder Mineralstoffen vorliegt, der Vorher-Nachher-Unterschied viel größer sein.
Daher lasst mich noch einiges sagen, das breitere Gültigkeit hat
Prinzipiell ist gegen eine Unterstützung von Körper und Gehirn in Form von Globuli, Naturheilmittel, Vitaminen und Zusatzstoffen nichts einzuwenden, jedoch sollte einiges beachtet und bedacht werden:
Warum alternative Methoden und Produkte keine „Alternative“, sondern nur eine Ergänzung sein sollten
Viele Eltern sind zwar bereit, klassische Therapien wie Elterntraining, Ergotherapie etc. zu machen, ein Teil schreckt aber davor zurück, seinem Kind Medikamente wie Ritalin zu verabreichen. Denn die Angst, dem Kind damit zu schaden ist bei vielen Eltern riesengroß. Und das ist auch verständlich. Zu viele Schreckensmeldungen geistern durch die Medien, zu oft hat man schon von angeblicher Abhängigkeit von diversen in den Medikamenten enthaltenen Substanzen gehört. Um euch hier schon mal die Angst zu nehmen, lest bitte unbedingt meinen Blog zu diesem Thema, das wäre mir für euch und eure Kinder wirklich unheimlich wichtig!
Aber eben wegen dieser Ängste versuchen viele Eltern auf alternative Mittel auszuweichen. Und auch klassische Therapien werden bei manchen eher als Plan B gesehen, wodurch oft wertvolle Monate und nicht selten Jahre vergehen, in denen dem Kind durch anerkannte Therapien um ein Vielfaches besser geholfen werden hätte können.
Wie oben schon erwähnt, spricht natürlich nichts dagegen, alternativen Methoden und Mittel zusätzlich zu anerkannten Wegen zu versuchen. Sie als einzige Behandlungsmethode zu wählen, kann allerdings bestenfalls bei sehr leichter ADHS und idealen Bedingungen im Umfeld klappen – eine Kombination an Umständen, die man im realen ADHS-Leben kaum vorfindet.
Mein Fazit zum Thema "alternative Therapien bei ADHS"
Alternative Behandlungsmöglichkeiten bei ADHS sollten keine „Alternative“, sondern eine Ergänzung sein. Zu denken, alternative Methoden könnten klassische Therapien ersetzen, kann zu wirklich bösen Folgen für euer Kind führen. Bitte seid hier wirklich offen für diesen wichtigen Hinweis ♥.
Alternative Verfahren und Produkte bringen in bestimmten Fällen Verbesserungen, die sich aber lt. derzeitiger Studienlage und aus meiner jahrelangen Erfahrung bei 5 – 10 % bewegen, wirkliche Abhilfe schaffen diese Mittel jedoch nicht. ADHS ist eine Erkrankung des Gehirnstoffwechsels und da haben weder Homöopathie, noch Bachblüten, noch Nahrungsergänzungsmittel eine Chance.
Natürlich kann Baldrian ein wenig beruhigen, bestimmte Tees können beim Einschlafen helfen und Omega-3 bzw. Vitamine können die Gehirnleistung ein wenig steigern. Aber wenn ihr euren Kindern wirklich helfen wollt, müsst ihr für sie da sein, sie mit Struktur und klaren Regeln begleiten, ihnen eine beziehungsbasierte Erziehung angedeihen lassen, ihnen Therapien ermöglichen und wenn nötig, auch schulmedizinische Medikamente geben.
Ich wünsche euch jedenfalls viel Kraft, den richtigen Weg für euch und euer Kind zu finden und freue mich wie immer über euere Kommentare!